Dass mich an diesem Abend keine leichte Kost erwarten würde, dass ich nachdenken und nachhaltig berührt werden würde, das hatte ich vermutet und sogar gehofft. Wie tief dieser Abend mich aber am Ende wirklich bewegen würde, hätte ich nicht ahnen können.

„Ich werde nicht hassen“ – Ein Stück, das auf der Biografie eines starken Mannes, Dr. med. Izzeldin Abuelaish, mit einer bewegenden Geschichte basiert. Eine Geschichte, die so traurig und gleichzeitig so unglaublich ermutigend ist, dass sie nur vom Leben selbst geschrieben worden sein kann. Ein Schauspieler, Mohammad-Ali Behboudi, der bewegt und gleichzeitig selbst so bewegt ist, dass die Grenzen zwischen Realität und Spiel verschwimmen. Es muss seine Geschichte sein, es müssen seine Kinder gewesen sein, sein Haus, sein Leben.

„Am 16. Januar 2009 um 16:45 Uhr wurden israelische Panzergranaten in das Schlafzimmer meiner Töchter gefeuert. Bessan, Aya und Mayar waren sofort tot, mit ihnen ihre Cousine Noor. Weil das israelische Militär Journalisten den Zugang nach Gaza verboten hatte, gab ich einem israelischen Fernsehreporter jeden Tag ein Telefoninterview. Minuten nach dem Angriff rief ich ihn beim Sender an; er übertrug unser Telefonat in die Sendung. Die Nachricht ging blitzschnell um die Welt.“ Ein Auszug aus der Geschichte von Izzeldin Abuelaish. Sie erzählt von einem Alltag in Gaza, Familienleben zwischen Hoffnung und Verzweiflung und vom tödlichen Anschlag.

Palästina und Israel. Zwei Länder, ein Konflikt. Ewig diskutiert, mit verhärteten Fronten und Hass gespickt. Ich selbst wusste nie so wirklich, wo ich stehe. Muss man überhaupt irgendwo stehen? Ich habe Bilder betrauert, von beiden Seiten, aber worauf dieser Konflikt wirklich beruht, seine politische Geschichte, wusste ich nie so wirklich. Muss man das wissen?
Ich glaube, nein. Denn es reicht, die Realität zu sehen, was passiert im Jetzt, egal ob auf der einen oder anderen Seite. Und was man sieht, ist Leid. Als Außenstehender ist das zwar hart, man ist geschockt, aber man vergisst. Ohne bösartig zu sein, ohne dabei ein schlechter Mensch sein zu müssen. Denn das eigene Leben geht weiter und es ist in Ordnung, eigene Probleme zu haben, auch wenn sie ganz oben an der Spitze der Bedürfnispyramide stehen. Es ist okay, bis oben zu klettern, weil wir es können. Trotzdem möchte ich von so hoch oben nicht vergessen, den Blick immer wieder nach rechts und links zu wenden und hinzusehen und zu fühlen. Was ich mit den Bildern und Gefühlen mache, entscheide ich dann ganz für mich selbst.

Nach der Vorstellung war ich hilflos, unendlich traurig und zutiefst berührt – aber vor allem hilflos. Denn nun habe ich gesehen und gefühlt, aber was kann ich tun? Den Abend nochmal verarbeitend wird mir klar, dass das Stück selbst einem die Antwort gibt. Denn dass ich mich mit etwas auseinandersetzen, es durchdenken, aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten kann, das habe ich ganz einfach einem zu verdanken. Bildung. Das Mittel, das allen Menschen die Möglichkeit gibt, ihre Umwelt und ihre Taten zu überdenken und am Ende vielleicht sogar aus dieser Umwelt auszubrechen oder sie mit genau diesem Mittel zu bekämpfen, Bildung.
Das Stück gibt uns die Aufgabe, diese Bildung, die für uns so selbstverständlich scheint weiter zu geben, besonders an Menschen für die das keine Selbstverständlichkeit ist. Nur dann können Dialoge entstehen, die zu Lösungen in diesem Konflikt führen.

Immer noch kann ich nur Gedankenfetzen mit euch teilen, kann kein Resümee für mich fassen oder das Gefühl auf den Punkt bringen. Alles, was zurück bleibt, ist diffus und vielschichtig. Aber vielleicht ist das auch essentiell, denn je diffuser und vielschichtiger, desto länger wirkt es nach. Ich hinterlasse euch bewusst dieses Chaos aus Gedankenfetzen, denn das ist, was bleibt. Ich habe keine Paradelösung, kenne keine politischen Details, weiß nicht, wie ich etwas bewegen kann oder werde und wie lange ich das mit mir trage. Aber gerade ist es da, präsenter denn je und das ist gut so. Es ist nicht perfekt, dieser Beitrag ist weit weg von perfekt ausgearbeitet. Aber ich kann gerade nicht mehr oder perfekter, habe aber trotzdem das Bedürfnis, euch einzuladen, das selbst zu erleben.

Bewusst werdet ihr hier keine Inhaltsangabe oder Zusammenfassung dieses Stücks finden, denn der Inhalt ist nicht zusammenzufassen. Er ist zu sehen, zu hören und vor allem zu fühlen, am 18.12. ein weiteres, vielleicht letztes Mal im Theaterhaus in Stuttgart. Also geht hin. Seht, hört und fühlt selbst!

http://www.theaterhaus.com/theaterhaus/?id=1,3,17521
Bild © Regina Brocke