Bin über das Gestern gestolpert und plötzlich im Morgen aufgewacht.

In einem ziemlich verregneten Novembermorgen noch dazu. Wie dafür gemacht, einfach liegen zu bleiben.

Decke über den Kopf, bin gar nicht da. Man ist schließlich nicht am Leben, um zu sein. Ist man nicht eigentlich hier, um zu werden? Was wird aus mir nur? Langzeitstudent? Vielleicht einfach mal abwarten. Auf diese wundersame Art und Weise sollen sich schon einige Gelegenheiten ergeben haben. Abwarten. Aber wer die Gegenwart durch wartet, der ergibt sich, der hält doch eigentlich nur tatenlos aus! Wer kann wartendes Aushalten schon ausstehen, durchhalten? Das Leben setzt aus, doch die Zeit läuft weiter, du bleibst stehen und SIE hat DICH ausgesetzt.

Bei einem Blick auf den Wecker jedenfalls, setzte mein Herz aus: Es ist Montag und die Bahn pünktlich zur ersten Vorlesung hatte ich schon verpasst. Meine einzige Chance war die Nächste – in 10 Minuten. Jacke übergeworfen, Tasche gegriffen, allerhöchste Eisenbahn!
Ich rannte, was meine Beine hergaben. Für einen Boxenstopp beim Bäcker zum Kaffeetanken blieb keine Zeit. Bereits seit einer Stunde war ich wach. Was hatte ich eigentlich getan, außer nachgedacht?!

Zeit verstreicht, während unverrichtete Dinge nicht erledigt bleiben. Haare wachsen und sind der Beweis, dass dennoch etwas geschieht. Die Zeit selbst begeht mehr Handlungen, als ich in ihr. Sie lässt Fassaden bröckeln und Gras grünen, Wetter wechseln und Kadaver verwesen.

Während ich keuchend im letzten Augenblick in die Bahn hineinstürmte, sie war mir so überlegen, die Zeit. Meine Unterlegenheit gegenüber dieser Unantastbaren teilte ich mit der Deutschen Bahn. Dankbarer Weise war auch sie heute mal wieder zu spät dran.
Draußen vor der Scheibe verschwamm eine trübe Landschaft zu einem Fluss, der grün-bräunliches Wasser führte. Die Scheibe stand vor Schmutz. Schleierhaft. Schleierhaft war mir in diesem Moment meine Zukunft. Fühlte mich, wie das Kind in einem Märchen, gefangen in ewiger Gegenwart. Und wenn sie nicht gestorben sind – Stuttgart Universität.
Ich musste aussteigen und wieder rennen, um den Schaden auf ein Minimum von 15 Minuten Verspätung zu begrenzen.

Warum bin ich eigentlich nicht im Bett geblieben?! – weil aus dir was werden soll! –Und jetzt, in diesem Augenblick, bin ich ein Nichts oder was?

Ich rannte und mir spöttisch die Zeit vornweg. Schade eigentlich, dass zu Beginn der Vorlesung keine Werbung läuft. Auf ein Eis hätte ich gute Lust gehabt. Schwitzend und trampelnd erfüllte mein verspätetes Ich den Hörsaal mit drei Sekunden kollektiver Aufmerksamkeit.
Endlich auf dem harten Holzsitz thronend begannen meine Gedanken erst zaghaft, dann unaufhaltsam, zu den amerikanischen Wahlen und Trumps unglaubwürdigsten Tweets abzuschweifen. Heute Abend wollten wir feiern gehen, tanzen. In meiner Vorstellung feierten wir, aber nur ich tanzte … tanzte, und verlor den Takt–
das, obwohl ich die Zeiger meiner Armbanduhr die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen hatte … Ich sah mich um. Während die Anderen nachdachten, dachte ich vor. Trotzdem zerrannen mir die Stunden.

„Meine Damen und Herren, ich weiß, Ihr Workload in diesem Semester ist fast unerträglich, aber ich würde Sie bitten, die Wahlversprechen von Clinton, Trump und Obama gegenüber zu stellen. Denken Sie an entsprechende Zitate. 1500 Wörter. Bis Donnerstag, werte Studierende!“

Um mich herum hastiges Packen. Ich brauchte mich nicht beeilen, meine Bahn hatte ich verpasst. Diesmal gänzlich ohne Eigenverschulden. Das Ziffernblatt zeigte 13.25 Uhr. 10 Minuten überzogen.

Das Tik-Tak der Zeiger … Wahrscheinlich eines der wenigen Dinge, über welche die Menschen keine Macht erlangen können. Enthalt jeglichen Einflusses – das ist es, was dich und mich wahnsinnig macht.

Aber ich glaube, Wahnsinn ist menschlich…

– Svenja Deutschkämer