Unsere Gesellschaft versucht immer perfekt zu sein. Gerade nach außen hin hat jeder Mensch das Bedürfnis den Schein von seiner eigenen perfekten Welt zu wahren. Unsere Fehler und Macken sind privat. Wir reden nicht gerne darüber, auch wenn die Dinge die uns beschäftigen, gar nicht mehr nur mit uns selbst zu tun haben. Was aber eigentlich noch schlimmer ist, wenn wir unsere Macken gar nicht als solche wahrnehmen. Wenn wir über gewisse Verhaltensweisen gar nicht nachdenken, und das Problem dabei gar nicht erkennen. Wenn das was wir tun in unserer Gesellschaft gar nicht als Fehler angesehen wird. Wenn wir jedes achte Lebensmittel, das wir kaufen, wegschmeißen und uns keine Gedanken darüber machen. 

Die Wegwerfmentalität unserer Gesellschaft fängt schon bei den Produzenten unserer Lebensmittel an. Bei Kartoffeln zum Beispiel werden etwa 40 % der Ernte schon auf dem Feld gelassen, weil sie den Ansprüchen der Industrie nicht genügen. Dabei stecken in jedem Lebensmittel auch Arbeit und Ressourcen. Bis man ein Kilo Äpfel überhaupt ernten kann braucht es etwa 820 Liter Wasser. Krummes Gemüse wird entweder direkt von den Produzenten weggeschmissen oder als besondere „Bio-Helden“ verkauft. Warum braucht es für krummes Gemüse, zu kleine oder zu große Kartoffeln überhaupt eine extra Verkaufsstrategie?

Hier fängt das Problem mit unserer mangelnden Wertschätzung für Lebensmitteln schon an. Es ist immer leicht den anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben, aber letztendlich laufen wir durch den Supermarkt und suchen uns die schönste Karotte aus, wollen die Avocado mit der perfekten Konsistenz und ja keine Banane mit braunen Flecken. Wer kauft schon die Milch, die heute abläuft? Einige Supermärkte sortieren daher leichter verderbliche Lebensmittel wie Jogurt und Milch bereits einige Tage vor dem Ablaufen des Mindesthaltbarkeitsdatums aus, um kein Risiko einzugehen. Egal was sie machen, sie wollen ihre Kunden möglichst zufrieden stellen. Deshalb müssen die Regale bis Ladenschluss prall gefüllt sein mit den besten Produkten, die der Markt zu bieten hat. Die Folge: Es wird nicht alles verkauft und pünktlich zum Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums raus in die Tonne geschmissen. Die Supermärkte dürften diese Produkte immer noch verkaufen, sofern das eindeutig gekennzeichnet ist. Aber wer macht das schon? Es gibt kein Gesetzt in Deutschland, wie viel und ab wann ein Supermarkt Lebensmittel wegschmeißen darf oder was mit dem Abfall passiert. Was das betrifft, ist uns Frankreich einen Schritt voraus. 2015 hat das Parlament in Paris beschlossen, dass unverkaufte Lebensmittel nicht mehr weggeschmissen werden dürfen. Alternativ sollen sie gespendet, zu Tierfutter verarbeitet oder als Kompost in der Landwirtschaft verwendet werden.

Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist ein weiterer Streitpunkt und steht seit einigen Jahren unter Beschuss. Offiziell soll das MHD als Indikator dienen, ab wann man seine Sinne aufmerksam einsetzen sollte. In der Realität ist unser gesamtes Frischeempfinden von diesem einen Datum abhängig. Kaum einer verlässt sich nur auf den Geruch, die Farbe und die Konsistenz. Einigen Unternehmen wird sogar vorgeworfen, das MHD zu verkürzen, um einen möglichst hohen Profit daraus zu schlagen, umso schneller Lebensmittel „verderben“ desto eher kaufen wir neue. Und es funktioniert, 47 % unserer Lebensmittelabfälle wären eigentlich noch genießbar. Dazu kommt, dass der Hersteller bis zum Ablauf des Datums für die Qualität seiner Produkte haftbar ist. Also lieber kein Risiko eingehen und ein paar Tage als Puffer freilassen, oder? Bei frischem Obst und Gemüse, Kaugummi oder alkoholischen Getränken ist kein MHD vorgeschrieben, es gibt aber trotzdem oftmals eins. Und wir richten uns blind danach. Wir kaufen kopflos ein und schmeißen danach jeder 82 kg Essen in unsere eh schon überfüllten Mülleimer. Bananen werden um die halbe Welt geflogen, nur damit wir sie hier wegschmeißen. 

Und jetzt?

Was passiert jetzt mit diesen 6,7 Millionen Tonnen Essen pro Jahr? Bei dem Versuch ein paar dieser Lebensmittel zu retten, wurden zwei Studenten Anfang diesen Jahres zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Sie wurden beim Containern von der Polizei erwischt. Müll gehört zum Privatbesitz, also ist das Stehlen von Müll illegal. Eine moralische Zwickmühle , die in ganz Deutschland Diskussionen ausgelöst hat. Es gibt immer mehr Menschen, die sich über ihr Konsumverhalten Gedanken machen. Überall gibt es neue Modelle, die sich mit nachhaltigem Konsum und Lebensmittelverschwendung beschäftigen, eins davon ist Foodsharing und auch in Stuttgart gibt es dieses Konzept. Durch die Foodsharing Plattform, können Privatpersonen überschüssiges Essen in virtuelle Einkaufskörbe packen und so die Mülltonne umgehen. Der Verein hat auch Kooperationen mit Supermärkten, die ebenfalls ihre überschüssigen Lebensmittel abgeben. Diese werden dann in sogenannten Fairteilern kostenlos zur Verfügung gestellt.

Das erste Foodsharing Café in Stuttgart hat diesen Sommer  eröffnet und heißt „Raupe immersatt“. Das Essen ist komplett kostenlos und wird vor dem Müll gerettet. „In Stuttgart gibt es vor allem einen großen Backwaren Überschuss, so ist auch die Idee mit dem Café entstanden“, erzählt eine der Gründer/innen Maike Lambarth. Auch die Getränke sollen keine festen Preise haben, frei nach dem Motto: Jeder soll so viel zahlen, wie ihm das Getränk wert ist. „Das ist schon frustrierend und auch schockierend, wenn man jeden Tag erlebt, wie viel weggeschmissen wird.Umso mehr freut es uns, wenn wir dafür sorgen können, dass die Lebensmittel noch eine Verwendung finden“, erzählt Maike weiter. Dann soll es auch „Schnippeldiscos“ geben, also Kochkurse mit geretteten Lebensmitteln. Je nach dem, was für Lebensmittel auf dem Tisch landen, wird beim Kochen improvisiert. Die Einnahmen im Café werden erstmal für Vorträge und Veranstaltungen genutzt. Wenn dann noch etwas übrig ist, wird gespendet.

Es gibt sie also, Möglichkeiten unseren Konsum anders zu gestalten. Unser Essen gehört nicht in die Tonne. Jeder von uns hat die Verantwortung wie viel wir einkaufen und vor allem wie viel wir wegschmeißen. Wir haben die Verantwortung wo wir einkaufen und wen wir mit unserem Geld unterstützen wollen. Wir müssen uns überlegen, was wir an unserer Lebensweise ändern wollen. Da du gerade diesen Artikel gelesen hast, hast du soeben damit angefangen. Herzlichen Glückwunsch. 

Lorena Boß