von Silvia Vangelova

Man hat den Kulturschock erst dann wirklich überwunden, wenn der Schock über das, was man gerade tut, überstanden ist. 

Im Ausland zu leben ist zweifellos eine wunderbare, bereichernde und abenteuerliche Erfahrung. Doch wie alles Andere, hat sie auch eine zweite Seite – die eine verwirrende, frustrierende, anstrengende. 

Der Kulturschock ist ein häufiges Phänomen unter Reisenden und Menschen, die weit weg von zu Hause leben. Es kann Monate dauern, bis er sich entwickelt und Reisende, manchmal auch auf unerwartete Weise, beeinflusst. Allerdings ist den meisten Menschen nicht bewusst, dass der Kulturschock aus vier klaren Phasen besteht und dass man jede einzelne durchleben muss, bevor man endlich zum Local wird.

Viele Auswanderer glauben, dass sie schon zu den Einheimischen gehören, wenn sie eine gewisse Zeit irgendwo gelebt haben. Allerdings weiß niemand genau, wann genau der Wandel stattfindet. Wie kann man mit Sicherheit feststellen, dass der ultimative, ersehnte Moment der Zugehörigkeit endlich gekommen ist? Wie ich das für mich selbst festgestellt habe, möchte ich anhand eines persönlichen Beispiels und mit Hilfe dieses Artikels von Participate Learning, der die vier Phasen des Kulturschocks beschreibt, mit Dir teilen.

  1. Die Flitterwochenphase

“Die erste Phase des Kulturschocks ist oft überwältigend positiv. Die Reise oder der Umzug scheint die großartigste Entscheidung zu sein, die je getroffen wurde, ein aufregendes Abenteuer, auf dem man für immer bleiben kann.”

Als ich nach Deutschland zog, war zunächst alles wunderbar. Es war meine erste richtige Auslandserfahrung und ich war überwältigt von Emotionen und Faszination für alles, was ich erlebte.

Zu Beginn hatte ich viel zu tun und alltägliche Dinge wie die Rückgabe der Pfandflaschen waren kein Thema. Es gab ja schließlich viel Wichtigeres e, worüber ich mir Gedanken machen musste. Ich hatte schon vor meiner Ankunft über die Rückgabe des Pfandes in Deutschland gelesen (Ja, darüber und vieles Andere, was man nicht glauben wird). Ich fühlte mich vorbereitet und kaufte deshalb mehrere Flaschen Wasser, ohne darüber groß nachzudenken. 

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  1. Die Frustrationsphase

“Die Frustration ist die zweite Phase des Kulturschocks und wahrscheinlich die schwierigste von den vier. In dieser Phase kann die Müdigkeit, Gesten, Zeichen und die Sprache nicht zu verstehen, häufig auftreten und es kann zu Fehlkommunikationen kommen. Kleine Dinge – der Verlust von Schlüsseln, das Verpassen des Busses oder die Unfähigkeit, in einem Restaurant problemlos Essen zu bestellen – können Frustration auslösen.”

Und dann kam der Tag, an dem ich einkaufen gehen und die Flaschen zurückgeben wollte. Wieder einmal rief ich die Website mit der Erklärung zur Rückgabe des Pfands auf und las fleißig, wo und wie man es macht. Dann ging ich in den Laden, schnappte mir alles, was ich brauchte, und machte mich auf die Suche nach dem sogenannten Automaten. Ich lief mindestens drei Mal durch den ganzen Laden und konnte trotzdem nichts finden. Normalerweise hasse ich es, um Hilfe zu bitten. Seit ich im Ausland lebe, muss ich es aber doch hin und wieder tun. Es machte mir immer wieder Angst, weil ich nie sicher war, ob das, was ich sagte, richtig war und ob die Person mich verstand. Trotzdem ging ich zu einer Mitarbeiterin und fragte sie nach dem Leergutautomaten. Sie sagte mir dann, dass er neben den Kassen steht und ich ihn nicht übersehen kann. 

Ich ging also zu den Kassen, und fand ihn trotzdem nicht. Ich dachte mir: wahrscheinlich ist er auf der anderen Seite. Auch dann machte es keinen Sinn, erst zu bezahlen und dann das Pfand zurückzugeben. Nachdem ich bezahlt hatte und bereits im äußeren Teil des Ladens war, schaute ich mich noch einmal um und es gab immer noch keinen Automaten. 

Dann sah ich eine große Schachtel, auf der in großen Buchstaben „Plastik“ stand. Da dachte ich mir: „Könnte es das hier sein? Da ist schon die runde Öffnung, aber wo ist der grüne Knopf, den ich anscheinend drücken soll? Na ja, vielleicht ist dieser Automat hier ohne!“. Und so warf ich die Flaschen in den Mülleimer. Obwohl ich es innerhalb der ersten Sekunde merkte, ging ich einfach weiter, weil ich das Gefühl hatte, dass mich alle Leute anschauten. Als ich den Laden verließ, brach ich in Tränen aus. Die ganze Erfahrung war frustrierend und ich fühlte mich extrem idiotisch.

  1. Die Anpassungsphase

“Die Frustrationen werden oft gedämpft, wenn die Reisenden sich mit den Kulturen, Menschen, Speisen und Sprachen der neuen Umgebung vertrauter und wohler fühlen. Die Navigation wird einfacher, Freunde und Unterstützungsgemeinschaften werden aufgebaut, und Einzelheiten der lokalen Sprachen werden während der Anpassungsphase möglicherweise besser erkennbar.”

Als ich nach Hause kam, bestellte ich sofort eine Filterflasche und versprach mir, nie wieder eine Plastikflasche zu kaufen. Außerdem wollte ich mir nie wieder erlauben, mich so dumm zu fühlen wie an diesem Tag. Leider blieb beides nicht lange wahr.

Im Laufe der Monate fand ich einige gute Freunde und sogar den Mut, die dramatische Pfandrückgabe-Erfahrung zu erzählen. Auch wenn ich mich anfangs dumm fühlte, bekundeten die Leute immer wieder ihr Mitgefühl (natürlich nachdem sie gut gelacht haben). Ihre Unterstützung ging sogar so weit, dass sie mir anboten, mir bei der nächsten Rückgabe einer Pfandflasche zu helfen (eigentlich bei der nächsten Suche nach einem Automaten). Ich lehnte jedoch immer wieder ab, weil ich mir selbst ein Versprechen gegeben hatte.

Ein paar Monate später als das ganze Drama vergessen war, ging ich mit einer engen Freundin Lebensmittel einkaufen, und sie hatte einige Pfandflaschen zur Rückgabe. Da fiel mir ein Gedanke ein. Offensichtlich war er auch ihr in den Sinn gekommen, denn als wir zum Automaten gingen, sagte sie: „Vielleicht kannst du jetzt sehen, wo er steht und wie es läuft, und fühlst dich okay, wieder eine Plastikflasche zu kaufen.“

  1. Die Akzeptanzphase

“Im Allgemeinen – wenn auch manchmal erst Wochen, Monate oder Jahre nach dem Ringen mit den oben beschriebenen emotionalen Phasen – ist die letzte Phase des Kulturschocks die Akzeptanz. Akzeptanz bedeutet nicht, dass neue Kulturen oder Umgebungen vollständig verstanden werden, vielmehr bedeutet es die Erkenntnis, dass ein vollständiges Verständnis nicht notwendig ist, um in der neuen Umgebung zu funktionieren und zu gedeihen. Während der Akzeptanzphase haben die Reisenden die Vertrautheit und die Fähigkeit, die Ressourcen zusammenzutragen, die sie brauchen, um sich wohl zu fühlen.”

Aus vielen Gründen habe ich nicht wieder angefangen, Plastikwasserflaschen zu kaufen. Doch irgendwann merkte ich, dass der Kauf einer Cola mir keine Angst mehr einjagte. Bald darauf kam die Zeit, in der es mir nicht mehr auffiel, wenn ich Getränke kaufte und mein Pfand zurückgab. Dann war auch die Erinnerung an meine große Blamage nicht mehr schmerzhaft. Ich begann sogar, über meine eigene Hilflosigkeit zu lachen.

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Die Rückgabe von Leergut ist natürlich nicht das Wesentlichste, an das ich mich gewöhnen musste. Geschweige denn war dies das bedeutendste Kulturschock-Ding, das mir als Ausländerin in Deutschland passiert ist. Dafür aber zeigt dieses Beispiel, wie einfache, alltägliche Dinge selbst einem begeisterten Ausländer die Erfahrung im Ausland erschweren können. Diejenigen unter euch, die schon einmal im Ausland gelebt haben, werden sicher sofort eine entsprechende persönliche Anekdote finden.

Es wird zweifellos einige frustrierende Erfahrungen geben, wenn man sich entscheidet, auch nur für kurze Zeit im Ausland zu leben. Bei verschiedenen Gelegenheiten wird man sich bestimmt auch mal blöd vorkommen. Allerdings werden solche Erlebnisse niemals die Vorteile eines Auslandsaufenthalts aufwiegen. 

Quelle:

Participate Learning: The 4 Stages of Culture Shock, 19.02.2016. URL: https://medium.com/global-perspectives/the-4-stages-of-culture-shock-a79957726164 [Letzter Zugriff: 10.12.2020]