Bevor Du anfängst zu lesen: Die Rezension enthält Spoiler. Wenn Du Endgame noch nicht gesehen hast, tu Dir selbst einen Gefallen und schließe die Seite. 

Ein knappes Jahr, nachdem die ganze Welt geschockt die Kinosäle verließ, weil Marvel die Hälfte ihrer Superhelden buchstäblich mit einem Fingerschnipsen umgebracht hatte, strömten die Massen wieder ins Kino. Mit drei Stunden Laufzeit stellt „Avengers: Endgame“ neben den Nerven auch eine Herausforderung an die Blase dar. Er ist die Kulmination eines großartig aufgebauten Filmuniversums, 21 Filme gehen ihm voraus und werden hier zusammengeführt – und trotzdem bleibt ein Gefühl der Unzufriedenheit zurück. 

Auch wenn eine Laufzeit dieser Länge die Gefahr birgt, dass die Handlung langatmig wird – der Film hätte nicht kürzer sein dürfen. Vor allem zu Beginn musste das Tempo aus der Handlungsgeschwindigkeit genommen werden, um zu zeigen, wie die Charaktere mit der Dezimierung der Weltbevölkerung umgehen. Hier bricht „Endgame“ ein wenig aus dem bekannten Schema des Superheldenfilmgenres aus und nimmt sich Zeit, zu zeigen wie die einzelnen Figuren mit dem Tod ihrer Freunde und Familie zurechtkommen – nämlich gar nicht.  

Der Film startet stark und emotional: Die Eröffnungsszene zeigt, wie Clint Bartons Familie zu Staub zerfällt, was den Katalysator von dessen Wandel vom Meister-Bogenschützen zum Massenmörder darstellt. Im Weltall blicken währenddessen Tony Stark und Thanos‘ Tochter Nebula dem Tod ins Auge. Carol Danvers, Marvels neueste Superheldin und vor allem den männlichen Marvel-Fans ein Dorn im Auge, rettet das umhertreibende Raumschiff und bringt die beiden zurück zur Erde. Dort versuchen die verbliebenen Avengers verzweifelt, einen Weg zu finden, wie sie an Thanos und die Infinity-Steine kommen, um die Dezimierung rückgängig zu machen. 

Mit der Hilfe von Danvers finden sie Thanos, der sich ohne seine Armee auf einen unbevölkerten Planeten zurückgezogen hat. Er hat die Steine zerstört, die ihren Sinn mit der Auslöschung der Hälfte allen Lebens erfüllt haben – so gibt es keine Möglichkeit mehr, die zu Staub zerfallenen Menschen zurückzuholen. Als Thor Thanos schließlich den Kopf abhackt, schwingt keinerlei Befriedigung mit, es ist bloß ein Akt der Verzweiflung. 

Fünf Jahre später taucht in einer nur langsam heilenden Welt der totgeglaubte Scott Lang wieder auf. Mit einer absurden Zeitreise-Theorie gibt er den Superhelden neue Hoffnung; gemeinsam reisen sie in die Vergangenheit, um dort die Infinity-Steine einzusammeln. Mit drei unterschiedlichen Zeitleisten ist der Zuschauer schwer beschäftigt, doch die Russo-Brüder schaffen es, die Handlungsstränge verständlich zu bündeln und die Verwirrung auf einem Minimum zu halten. Auch hier behält der Film seine emotionale Schiene ohne nennenswerte Kampfszenen bei. 

Am Ende kann man „Endgame“ aber doch auf ein altbewährtes Rezept herunterbrechen, dem Marvel sich schon oft bedient hat: Das Gute siegt, das Böse verliert. Die Bildgewalt der einzelnen Szenen im letzten Drittel des Films tröstet zwar über das generische Finale hinweg, reicht aber nicht für einen explosionsartigen Höhepunkt am Ende. Bereits von vorne herein war klar, dass Thanos diese Schlacht nicht überleben wird; die einzige Überraschung des Films bleibt, dass Iron Man zum Helden der gesamten Erde wird und ihn besiegt. Und damit geht „Endgame“ das letzte bisschen Luft aus. Natürlich schwingt hier die Erleichterung mit, und auch ein kleines bisschen Zufriedenheit über dieses Happy End. Auch der epische Endkampf zwischen Superhelden und Weltall-Kreaturen, bei der so viele unterschiedliche Charaktere wie noch nie im Marvel-Universum aufeinandertreffen, trägt zu diesem Gefühl bei. 

Und trotzdem bleiben die Endsequenzen eine penetrante Erinnerung daran, weshalb man mit diesem Film ganz und gar nicht zufrieden sein sollte. Joe und Anthony Russo haben viel Arbeit in diesen Höhepunkt des Marvel-Universums gesteckt und „Endgame“ hatte unfassbares Potenzial – und doch verpufft am Ende all das. Die Beerdigungsszene kann noch mit Tony Starks herziger kleinen Tochter Morgan punkten, die ganz wie der Papa Hunger auf Cheeseburger hat. Doch mit dem ruhigen Tempo, das der Film an diesem Punkt anschlägt, wird auch die Ernüchterung spürbar. Nicht nur Iron Man hat sich für die Welt aufgeopfert – auch Natasha Romanoff gab selbstlos ihr Leben im Kampf gegen Thanos. Ihr Tod wurde mit einer Szene zwischen den verblieben Avengers und einer Träne auf dem Gesicht von Steve Rogers quittiert – viel zu wenig für einen Charakter, der den Avengers so viel Menschlichkeit und Dynamik gab. 

Auch Captain Americas Ende hinterlässt einen bitteren Geschmack. Man muss sich schon fragen, wie es sein kann, dass die Russo-Brüder Zeit für einen dabbenden Hulk und einen Fortnite spielenden Thor haben, jedoch nicht für eine richtige Verabschiedung von Steve Rogers und seinem besten Freund Bucky Barnes? Wie in Civil War gezeigt wurde, gibt es nichts, das Steve nicht für Bucky tun würde – inklusive sich mit seinen engsten Verbündeten zu überwerfen. Oberflächlich ist es eine schöne Kulmination von Captain Americas Charakter, als er in die Vergangenheit reist um dort die Liebe seines Lebens zu heiraten. Der Steve aber, der in „Civil War“ verbittert gegen das Sokovia-Abkommen gekämpft hat, würde seinen besten Freund nie wissentlich der Folter in den Händen von Hydra überlassen – und genau das tut “Endgame”-Steve, denn zu der Zeit, als er Peggy heiratet, wird aus Bucky Barnes der Winter Soldier. 

Der Film schließt mit einem bittersüßen Gefühl der Leere. Eine Ära ist zu Ende, und obwohl Marvel schon seine neuen Superhelden in den Startlöchern hat, wird nichts je den Platz der Avengers einnehmen können. Wir haben einige unserer großen Helden verloren und nicht alle an den Tod – die Zeit von Tony Stark, Steve Rogers, Bruce Banner, Clint Barton, Thor und Natasha Romanoff ist vorbei.

The Avengers will not return. 

Angelina Neuwirth