Nun sitzen wir hier, nach Tagen und Monaten und haben uns noch so viel zu erzählen und doch nichts zu sagen. „Weißt du, der Nachteil an der Liebe ist, dass sie langweilig ist, wenn sie funktioniert.“ Du siehst mich fragend an, ich schaue fragend zurück und nein! – ich sage nicht, dass du langweilig bist, ebenso wenig ist es die Liebesbeziehung, die wir führen, noch sonst irgendetwas, das wir teilen. – Nein? fragst du, aber was genau willst du damit sagen? – Nein, meine ich. Und nein, ich benutze das Wort ‚nein‘ natürlich nicht zu oft. – Wo standen wir? Ach ja, nein, meinte ich. Nein, ich kann dir nicht beantworten, was genau ich damit sagen will. Vielleicht wollte ich sagen, dass ich froh bin, dass wir nicht langweilig sind, aber das würde nur implizieren, dass es zwischen uns eben nicht funktioniert. Aber das tut es. Wir funktionieren. Was eindeutig nicht funktioniert, ist meine Fähigkeit, über die Liebe zu sprechen.

Du siehst mich fragend an. Ich schaue fragend zurück.

„Entschuldigung, ich hätte das nicht sagen sollen“ sage ich, um größerem Unheil aus dem Weg zu gehen, doch du winkst ab.

Du siehst mich fragend an. „Was ist es, das an der – sprechen wir mal von einer rein theoretischen – Liebe so langweilig ist?“ – Eine Pause. Ich spüre, wie deine ehrlichen Augen versuchen, mich zu durchbohren und meine Mimik zu entschlüsseln. Ja, du bist gut darin, in meinem Gesicht das zu lesen, was in meinem Gehirn längst nicht in Worte gefasst werden kann.

Was du nicht siehst, ist die hitzige Diskussion, die die Stimmen in meinem Kopf führen. Denn ja, ein Teil von mir bereut es, dieses Gespräch überhaupt begonnen zu haben während ein anderer Teil einen bedeutungsvollen Monolog über das Leid der als perfekt angesehenen Liebe halten will und ein weiterer Teil sich fragt: „Wie glaubhaft wäre es, jetzt einen Ohnmachtsanfall vorzutäuschen?“

Nun gut, meine ich, lass mich ehrlich zu dir sein.

Das perfekte Leben wird durch Belanglosigkeiten beschrieben. Du brauchst einen Job, ein neues Auto, mindestens so viel Essen, dass du immer noch zu viel hättest, wenn du dich spontan entschließen solltest, die Hälfte davon wegzuwerfen. Du brauchst ein Haus, gute Versicherungen, einen Ehepartner und Kinder. Mal von allem abgesehen, ist der Ehepartner – und ja, ich lasse die Kinder bewusst aus dem Spiel – das Einzige, was weder aus Konsumsucht noch aus materialistischen Idealen hervorgeht. Und doch, doch wird es als selbstverständlich gesehen, diese Dinge in Verbindung zu bringen.

Und wenn ich hier so neben dir sitze und mich umschaue, haben wir weder Jobs noch eine Karriere. Ja, wir sind jung, aber das waren viele vor uns auch und trotzdem habe ich das Gefühl, dass ich einfach nicht dafür gemacht bin, Erfolg zu haben. Ich wohne zu Hause, du teilst dir eine WG, wir fahren kein Auto, leben von Nudeln ohne Soße und Geld für Versicherungen auszugeben –  ist mehr oder weniger irrelevant, da wir ohnehin keines haben.

Und obwohl wir nichts von alldem haben, sitzen wir hier und nennen das, was wir neben meinem Netflix-Account teilen, „Liebe“. Aber das ist es nicht, Liebe ist Teil dieser Wahnvorstellung, Teil dieses „Deutschen American Dream“ aus dem Jahre neunzehnhundert vor – „ist mir egal was du willst, sei gefälligst ein nützlicher Teil der Wirtschaft“. Das ist Liebe. Liebe ist langweilig, wenn sie funktioniert. So langweilig, dass tausend schlechte Liebeskomödien später die Menschen immer noch ins Kino rennen, um zu sehen, wie spannend es doch sein kann, wenn eben nicht alles funktioniert und sich dann im Anschluss darüber zu freuen, wie schön es doch ist, es einfacher zu haben als dieses Paar aus dem Film.

Doch was wir haben, ist nicht langweilig. Wir sind nicht langweilig und nein, damit möchte ich weder angeben noch möchte ich Menschen von unseren ach so tollen Kletterabenteuern oder besuchten Weinproben erzählen.

Pause.

Du schaust mich fragend an. Ich schaue fragend zurück.

Bevor du fragen kannst, was ohnehin auf der Hand liegt, ergreife ich ebendiese und fahre fort:

Wir sind nicht langweilig. Wir sind ein Alptraum.

Wir wissen nicht, was wir werden wollen, wir wissen nicht, wer wir sind. Wir haben kein Auto, kein Haus, keinen Job und leben von Nudeln ohne Soße und dem nicht vorhandenen Geld, das wir ohnehin nicht für Versicherungen ausgeben könnten.

Und doch bin ich glücklich. Vielleicht eben, weil ich Liebeskomödien mit dir schauen und über den wahnsinnig schlechten Humor lachen kann, anstatt mich auf die tatsächliche Handlung zu konzentrieren. Vielleicht, weil unsere Kletterabenteuer meistens nur aus mir bestehen, wenn ich versuche, etwas zu erreichen, das höher als 1,75m liegt. Vielleicht, weil unsere Weinproben meistens aus dem Trinken der Reste der Flasche der letzten Woche bestehen.

Aber vielleicht auch nur, weil das, was wir teilen, für mich nicht nur Liebe ist.

Wenn es nur Liebe wäre, dann würden mir all jene Dinge fehlen, um ein perfektes Leben zu leben.

Pause.

Doch das tun sie nicht.

 

Du schaust mich fragend an. Ich schaue fragend zurück.

 

Luca Falzone