Das Mädchen streift durch eine Geisterstadt, vorbei an ausgestorbenen Häusern und durch leere Gassen, die von Gestrüpp überwuchert sind. Als es eine streunende Katze sieht, reißt es sich den Maulkorb vom Gesicht und stürzt sich gierig auf sie, um sie zu fressen. Satt und blutverschmiert betritt das Mädchen ein verlassenes Haus und erkundet es neugierig. Verträumt betrachtet es Fotos, steckt seinen Kopf in eine Waschmaschine und spielt mit einer Puppe. Endlich darf Melanie Kind sein.

Melanie (Sennia Nanua) ist ein sehr intelligentes und empathisches Kind. Zusammen mit Gleichaltrigen wird sie täglich von der Lehrerin Helen Justineau (Gemma Arterton) unterrichtet. Allerdings befindet sich Melanie auf einer Militärbasis und muss nach dem Unterricht in ihre Zelle zurück. Draußen tobt eine Zombieapokalypse, die sich durch eine Pilzinfektion immer weiter ausbreitet. Als das Camp von den sogenannten „Hungries“ überrannt wird, flüchten Melanie und Miss Justineau zusammen mit der Wissenschaftlerin Dr. Caroline Caldwell – und unter dem Schutz des Militärs – nach London, um Kontakt zur nächstgelegenen Militärbasis aufzunehmen. Dr. Caldwell (gespielt von der mehrfach Oscar-nominierten und Emmy-gekürten Glenn Close) verfolgt eine eigene Agenda: sie arbeitet an einem Impfstoff, für den Melanie der Schlüssel zu sein scheint.

Viel mehr sollte man über die Handlung von “The Girl with all the Gifts” gar nicht verraten, lebt der Film doch von seiner klugen Grundidee und ein paar genialen Einfällen, die für spannende Wendungen sorgen. Anfangs lässt sich der Film Zeit beim Erzählen, so ist es in der ersten Viertelstunde völlig unklar, um was es eigentlich geht. Das baut eine kontinuierliche Spannung bis zur ersten schockierenden Enthüllung auf, die filmisch mit einem verstörenden Realismus eingefangen wurde.

Mit “The Girl with all the Gifts” wurde der gleichnamige Roman (deutsche Übersetzung: „Die Berufene“) von Mike Carey aus dem Jahr 2014 verfilmt. Carey schrieb auch das Drehbuch zum Film. Regie führte der Schotte Colm McCarthy („Sherlock“, „Peaky Blinders“). Die britisch-amerikanische Koproduktion feierte ihre Weltpremiere am 3. August 2016 als Eröffnungsbeitrag des Filmfestivals in Locarno, das sich vor allem auf Filmkunst fokussiert. Eine durchaus berechtigte Wahl: Eine raue und gleichzeitig klare Cinematographie erinnert an verwandte Genrewerke wie „28 Days Later“ (Danny Boyle, 2002) und „The Crazies“ (Breck Eisner, 2010), kunstvoll arrangierte Szenen und eine starke Bildsprache erzeugen ein visuell berauschendes Erlebnis.
Besondere Erwähnung verdient der stimmungsvolle Score des Chilenen Cristobal Tapia de Veer, eine Mischung aus Electro und Ambient mit sphärischen Klängen. Verzerrte und überlagerte menschliche Gesänge und ein Theremin sorgen für eine druckvolle und beklemmende Atmosphäre, der eine leise Hoffnung mitzuschwingen scheint.

Für ein authentisches Endzeit-Setting wurden für einige Szenen mithilfe von Drohnen Luftaufnahmen von Prypjat gemacht, der Geisterstadt in der Nähe von Tschernobyl. Neben einem reich ausgestalteten Szenario bietet “The Girl with all the Gifts” solide, eher sparsam eingestreute Splattereffekte und verzichtet größtenteils auf gängige Zombieklischees.
Dass das Drehbuch vor allem gegen Ende doch ein paar logische Ungereimtheiten aufweist, ist schnell verziehen. Auch dank der starken Jungschauspieler, allen voran Hauptdarstellerin Sennia Nanua, die eine beeindruckende Leistung abliefert. Melanies charakterlicher Kontrast zwischen fühlendem, denkendem Mensch und blutrünstigem, instinktgetriebenem „Hungry“ hält die erzählerische Spannung über den ganzen Film. Ergründet wird hier das Menschliche im Zombie, aber auch das Zombiehafte im Menschen. Die philosophische Botschaft, die durch die griechische Mythologie versinnbildlicht wird, gipfelt in einer düsteren Auflösung, die einen mit Gänsehaut zurücklässt.
Ein Zombiefilm, der deutlich aus dem untoten Genrehaufen hervorragt und Appetit auf mehr macht.
“The Girl with all the Gifts” startet am 09. Februar 2017 in Deutschland.

– David Michalik –

Filmfakten

Originaltitel: The Girl with all the Gifts
Land / Jahr: Großbritannien, USA / 2016
Kinostart: 09. Februar 2017
Genre: Drama, Horror, Thriller
Laufzeit: 111 Minuten
Freigabe: FSK 16
Regie: Colm McCarthy
Drehbuch: Mike Carey
Darsteller: Gemma Arterton, Glenn Close, Sennia Nanua, Dominique Tipper, Paddy Considine

Bildquelle:
The Movie Database, URL: https://image.tmdb.org/t/p/original/k4pe70sGVvHlCwXH6td8Z3ZIRJf.jpg,
Urheber: Matthew Buchanan