Unsere Hochschule beschreibt sich in ihrem Leitbild als “Bildungsanbieterin für Medienspezialisten” — wir als Studierende werden später aus einer Vielzahl an Positionen Einfluss auf die Medienproduktion in Deutschland und im Ausland nehmen. Damit geht auch eine gewisse Verantwortung einher: Die Realität, die wir präsentieren wird von hunderten, tausenden, vielleicht sogar Millionen von Menschen täglich konsumiert werden. Deshalb ist es wichtig, darauf zu achten nicht nur uns und unser Umfeld, sondern auch andere Gruppen ausgewogen und fair darzustellen.
In der Praxis scheitert dies allerdings häufig an mangelnder Diversität — wenn wir niemanden kennen, der uns von seinem Leben berichten kann, wie wollen wir dies dann darstellen? Traut ihr euch zu einen Charakter mit anderer Kultur, Geschlecht, Sexualität darzustellen, ohne auf Klischees oder Stereotypen zurückzufallen?
Nun, nur weil etwas schwer sein mag, ist es nicht unmöglich! Informieren heißt die Devise. Und damit euch das Ganze einfacher fällt, wird sich der Rest des Artikels damit beschäftigen, euch den oftmals verwirrenden Begriffs-Dschungel der queeren Community näherzubringen.
Queer – was ist das überhaupt?
Wir alle tendieren dazu, uns in Gruppen mit Menschen, die ähnlich wie wir aussehen und denken zu formieren. Vor tausenden von Jahren war das sicher auch eine verdammt gute Idee: Gemeinsam sind wir stärker und wenn wir uns ähnlich sind treten weniger Spannungen in der Gruppe auf. In unserer heutigen globalen Gesellschaft ist dieser Effekt aber eher unerwünscht, denn er führt dazu, dass wir Andere (unter)bewusst ausschließen oder diskriminieren, weil sie eben nicht unseren Normen und Vorstellungen entsprechen.
Die Anderen, das sind komische Abweichler, die wir nicht dulden wollen. Ausdruck eben jener Diskriminierung war im englischen Sprachgebrauch früher das Adjektiv queer. Es war dazu gedacht, eben jene Andersartigkeit als schlecht darzustellen. Besonders häufig wurde es als Schimpfwort gegenüber Leuten in gleichgeschlechtlichen Beziehungen gebraucht. Doch im Verlauf der 80er und 90er wurde es durch Aktivismus positiv umbesetzt: Queer war ab nun der Oberbegriff für Leute, die einer sexuellen oder geschlechtlichen Minderheit angehören, ein Sammelbecken für sämtliche Orientierungen und Lebensweisen. Im Gegensatz zur Abkürzung LGBT ist die Bezeichnung inklusiver – jede Minderheit soll gleich berücksichtigt werden.
Zusätzlich wird der Begriff Queer heutzutage benutzt, wenn keiner der bereits etablierten Begriffe als passend für die eigene Identität und Präferenzen wahrgenommen wird.
Warum haben es queere Menschen in unserer Gesellschaft so schwer?
Seit der Antike gibt es eine in der Gesellschaft tief verankerte Menschenfeindlichkeit gegenüber verschiedenen Minderheiten, darunter auch queeren Menschen. Als Folge der Kriminalisierung und Verfolgung über die Jahrhunderte wurden (und werden!) queere Menschen lange Zeit von der Gesellschaft geächtet und ausgestoßen. Es bildeten sich ungeschriebene Normen, das Verhalten von queeren Menschen als unnatürlich und krankhaft zu verdammen. In manchen Fällen wurde die Existenz queerer Menschen komplett geleugnet.
Eine dieser Normen ist die Cis-Heteronormativität: Cis-Heteronormativität bedeutet, dass Heterosexualität als soziale Norm, also als das einzig annehmbare Verhalten, existiert. Eine Person ist von Geburt an entweder weiblich oder männlich (binär) und verliebt sich ausschließlich in das andere Geschlecht. In diesem System ist es nicht nötig auf Andersartige einzugehen, da deren Existenz geleugnet wird.
Neben der Diskriminierung ist auch die Vernachlässigung und Ausschließung von queeren Themen im Alltag ein Problem. Wenn im Sexualkundeunterricht zum Beispiel nicht auf Risiken bei gleichgeschlechtlichem Sex eingegangen wird, ist das eine Folge der Cis-Heteronormativität.
Geschlecht ist jedoch mehr als das, was uns biologisch gegeben ist. Wenn Mädchen mit rosa Puppen und Jungen mit blauen Autos spielen sollen, ist dies Teil unserer Kultur, nicht unserer DNS. Geschlechterrollen geben uns vor, wie wir uns als idealer Repräsentant eines Geschlechts zu verhalten haben. Oft kommt es uns so vor, als würden sie unser Leben ein Stück weit vorschreiben. Weicht unser Verhalten von diesen Geschlechterrollen ab, identifizieren wir uns auch weniger mit diesem Geschlecht. Dies kann dazu führen, dass eine Person realisiert, dass sie sich anderen, mehreren, oder keinem Geschlecht angehörig fühlt. Das Geschlecht bzw. die Geschlechtsidentität ist also unabhängig von den Geschlechtsorganen. Ebenso fühlt sich eine Person zum gleichen, anderen, mehreren, oder generell allen Geschlechtern unterschiedlich stark hingezogen. Hier kann weiter auf romantischer und sexueller Ebene unterschieden werden. Gleichermaßen gibt es Menschen, denen Geschlecht komplett egal ist. Natürlich gibt es auch Menschen, die sich eine Beziehung mit mehr als einem anderen Menschen gleichzeitig wünschen.
Welche Begriffe existieren für all diese Menschen?
Die deutsche Sprache hängt mit ihren Begriffen leider dem aktuellen Stand weit hinterher. Dementsprechend fällt es leichter, das fehlende Vokabular durch die englischen Begriffe zu ersetzen. Vor allem da diese häufig 1:1 Eingang in das Deutsche finden. Aber auch für diese Begriffe gilt, dass sie eher dem Finden der eigenen Identität und von Gleichgesinnten dient, als einer Kategorisierung. Ebenso wie Menschen nicht nur klein und groß sind, sondern auf dem Meterband verschiedene Werte annehmen können, existieren Geschlecht und Sexualität auch auf einem Spektrum. Zusätzlich erschwert wird die Begriffsfindung dadurch, dass viele dieser Begriffe erst in den letzten zehn bis zwanzig Jahren aufgetaucht sind und deshalb noch immer Gegenstand diverser Diskurse sind — aus diesem Grund kann ich auch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Hierbei lässt sich sagen, dass natürlich von niemandem erwartet wird, all diese Begriffe komplett auswendig zu kennen — allerdings zeugt es von Respekt, von ihnen zumindest schon mal gehört zu haben. Niemand muss sich auf einen Begriff dauerhaft festlegen, denn im Laufe eines Lebens kann sich vieles ändern. Es gibt Personen, deren Geschlecht oder Sexualität ständig im Fluss sind. Dies kann zyklisch oder ohne feststellbare wiederkehrende Elemente passieren.
Für Menschen, deren Geschlechtsidentität nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt gibt es viele Begriffe, da die Definition dieses Umstands komplex und sehr individuell ist. Der im Deutschen am meisten akzeptierte Begriff lautet: Menschen mit transsexuellem Hintergrund. Denn englische Begriffe wie Transgender, trans man und trans woman könnten missverstanden werden. Aber es gibt auch viele Anhänger dieser Begriffe. Synonym wird auch die Transidentität, also das Phänomen, der von der Geschlechtsidentität abweichenden Körpermerkmale, benutzt. Menschen ohne transsexuellen Hintergrund können als Cisgender bezeichnet werden.
Sämtliche Geschlechteridentitäten außerhalb von Mann oder Frau (gender binary) werden als genderqueer oder non-binary bezeichnet. Beispielsweise sind Leute:
- Agender/Genderless für Personen ohne Geschlechtsidentität
- Intersex für Personen, die medizinisch (genetisch, anatomisch, hormonell) nicht eindeutig binär zugeordnet werden können
- Bigender für Personen mit zwei Geschlechtsidentitäten
- Trigender für Personen mit drei Geschlechtsidentitäten; es kommt das third gender dazu
- Pangender für Personen, die sich allen Geschlechtern angehörig fühlen
- Genderfluid für Personen, deren Geschlechtsidentität einem ständigen Wechsel unterworfen ist
Eine Beziehung mit einem anderen Partner bezeichnet man als monogam, mit mehreren Partnern als polygam. Polygamie ist Teil der non-monogamy, also all denen Beziehungsformen, in denen keine romantische oder sexuelle Exklusivität besteht. Eine Beziehung zwischen Partnern unterschiedlichen Geschlechts bezeichnet man häufig als Heterosexuell. Bei Partnern gleichen Geschlechts häufig als Homosexuell. Eine homosexuelle Frau ist lesbisch, ein homosexueller Mann ist schwul. Das hauptsächliche Interesse an Frauen wird als Gynäkophilie bezeichnet, an Männern als Androphilie. Diese Begriffe sind geschlechtsunabhängig.
Eine Person die sich zu mehr als einem Geschlecht angezogen fühlt nennt man Bisexuell. Dieser Begriff mag die höchste Sichtbarkeit haben, allerdings existieren auch noch weitere Begriffe:
- Polysexualität, um die Attraktion zu vielen Geschlechtern zu betonen
- Pansexualität, um die Attraktion zu allen Geschlechtern zu betonen
Je nach Person können diese Begriffe dasselbe bedeuten oder Wert auf die Unterscheidung gelegt werden.
Eine Person, die keine sexuelle Anziehung oder kaum bis kein Verlangen nach Sex verspürt, ist asexuell. Dies bedeutet nicht unbedingt, dass diese Person keinen Sex hat oder keine Beziehungen eingeht. Viele Asexuelle fühlen trotzdem romantische Anziehung. Die romantische Anziehung benutzt die selben Präfixe wie die Sexualität. Personen, die erst eine starke emotionale oder romantische Anziehung zu einem Partner verspüren müssen, bevor sie für den Partner sexuelle Attraktion spüren können, sind demisexuell.
Welche Probleme haben queere Personen heute?
Im November 2014 veröffentlichte die Universität Chicago in Zusammenarbeit mit dem Williams-Institut eine Studie, die einen merklichen Anstieg der Akzeptanz von Homosexualität über die letzten 20 Jahre belegte. Global hat sich die Gesellschaft und Gesetzeslage insgesamt positiv verändert. Je nachdem, wo sich queere Personen auf der Welt befinden, erfahren sie jedoch eine sehr unterschiedliche Behandlung. In einem Großteil der Länder Afrikas und Südasiens ist Homosexualität immer noch illegal; in wenigen davon steht sie sogar unter Todesstrafe. Im Rest Asiens und in Australien, sowie in einigen anderen Ländern, mag Homosexualität nicht unter Strafe stehen, doch werden gleichgeschlechtliche Beziehungen auch nicht anerkannt. Nordamerika und große Teile Südamerikas haben dagegen die Ehe vollständig legalisiert. Und Europa? Ist gespalten …
Die Bemühungen der queeren Gemeinschaft für Gleichberechtigung und Akzeptanz mögen mit der Aufhebung der Strafbarkeit und Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften in Deutschland die ersten wichtigen Schritte unternommen haben, aber es wurde noch keine vollständige Gleichstellung in den Bereichen Eheschließung und Adoptionsrecht erreicht. Das ist mit Blick auf Deutschlands Geschichte und Rolle in der EU eine Schande! Ebenfalls schlimm ist, dass nichtbinäre Geschlechtsidentitäten in Deutschland nicht anerkannt werden. Selbst erlaubte Ausweisänderungen gestalten sich dabei sehr mühsam. Operationen an intersexuellen Kindern, bei denen eine binäre Geschlechtsanpassung vorgenommen wird, sind leider immer noch erlaubt. Diese erzwungene Festlegung kann schwere psychologische Folgen haben. Der Grund für diesen Stillstand ist weniger der Akzeptanzgrad und mehr das mangelnde Interesse der Öffentlichkeit. Queere Themen spielen in fast allen Bereichen des Lebens für die Mehrheit der Deutschen fast keine Rolle. Kaum jemand ist dagegen, aber es engagiert sich auch kaum jemand aktiv für queere Minderheiten — dies unterstützt dann leider den Status quo.
Und diese Ignoranz kostet Leben. Amerikanische Studien zeigen, dass queere Menschen:
- eine höhere Chance haben, Krebs zu bekommen (untersucht wurden Frauen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren)
- ein höheres Risiko bei Herzkrankheiten, Bluthochdruck und der Ansteckung mit Geschlechtskrankheiten haben
- öfter rauchen, trinken und Drogen konsumieren
- öfter psychisch krank werden
- höhere Suizidraten haben
- öfter Opfer von Gewalt und Vergewaltigungen werden
- öfter aufgrund ihrer Ansichten diskriminiert und beleidigt werden
- ärmer als der Bevölkerungsdurchschnitt sind und öfter keine Arbeit finden
Aktuelle Zahlen aus Deutschland sind nicht zu finden, denn die Anzahl der Studien ist verschwindend gering und es wird lediglich die Anzahl der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften gezählt — nicht die Bevölkerungsanteile. Doch wird die Lage in einem Land, in dem “voll schwul” immer noch fester Bestandteil des Vokabulars der meisten Leute ist nicht besser sein.
Wie kann ich queeren Menschen helfen?
Queeren Menschen sollte auf zwei Ebenen begegnet werden: Persönlich und aktivistisch. Queere Menschen fühlen sich oft unwillkommen und haben Angst vor Zurückweisung, falls sie sich outen. Die Schaffung einer offenen und friedlichen Atmosphäre ist deshalb sehr wichtig. Es darf kein Raum für Diskriminierung gelassen werden, egal ob sie offen oder im Privaten stattfindet. Häufig fällt uns gar nicht auf, wie selbstverständlich wir Schimpfwörter, die auf queere Menschen, oder Menschen mit Behinderung oder Einschränkung abzielen, verwenden. Wer queer ist und wer nicht, ist nicht offensichtlich — und das ist auch gut so: Jeder Mensch hat das Recht auf Selbstbestimmung und damit auch darauf, ob er sich outen will. Auch wenn eine Person in einer Situation komplett offen ist, heißt das nicht, dass dies immer der Fall sein wird. Vertraut sich dir eine Person an, solltest du es deshalb auch nicht weitererzählen. Entscheidet sich eine Person dazu, sich zu outen, ist es wichtig, dieser Person bewusst zu machen, dass dies nicht ändert, was man von ihr hält und sie weiterhin akzeptiert.
Sämtliche abwertende Kommentare und Vermutungen über Sexualität und Geschlecht von queeren Personen sind tabu. Der Rest der Gesellschaft wird in diesen Belangen ja auch nicht in Frage gestellt! Ebenso sollte darauf geachtet werden, dass Fragen angemessen sind. Menschen nach ihren Pronomen zu fragen, ist immer eine gute Idee. Pronomen werden benutzt, um über diese Personen zu reden, sie zeugen von Respekt gegenüber der gelebten Identität der Person. Allgemein sollte man immer darauf achten, queere Leute zu berücksichtigen und einzubeziehen. Nichts ist schlimmer als das Gefühl außen vor zu sein.
Es wäre ebenfalls fantastisch, wenn ihr euch dazu entscheidet, euch für die Rechte von queeren Menschen einzusetzen. Das muss nicht unbedingt heißen, dass ihr einen Protestmarsch organisieren müsst, es kann schon damit anfangen, dass ihr anderen Personen helft, sich zu informieren. Das größte Problem ist nämlich, wie wenig sichtbar wir als Minderheit sein können. Ebenfalls toll wäre es, wenn ihr euren Einfluss dazu nutzt, dass queere Themen öfter im Fernsehen, Radio, Büchern, oder Spielen vorkommen. In den meisten Filmen und Serien finden sich wenige bis gar keine queeren Charaktere. Und wenn doch mal eine Geschichte über uns erzählt wird, ist sie meistens sehr klischeehaft, entspricht mehr den falschen Vorstellungen die andere haben, als der Realität. Die Charaktere müssen auch nicht immer eine tragende oder wichtige Rolle in euren Werken spielen; auch queere Hintergrundcharaktere helfen ungemein dabei, das Queer-sein als normal zu legitimieren.
Wie kann ich mich weiter informieren?
Das Rainbow-Café unserer Hochschule informiert gerne, fühlt euch frei Kontakt aufzunehmen. An dieser Stelle auch einen großen Dank an die Hilfe der Mitglieder bei diesem Artikel!
- Zusätzlich verweise ich hier ausdrücklich auf den GLAAD Media Reference Guide. Die 40 Seiten starke PDF enthält einen Glossar aller Begriffe, konkrete Richtlinien für das Berichten über Communities und Personen, und eine riesige Liste an weiterführenden Links.
- Das Projekt 100% Mensch bietet aktuelle Informationen, gerade auch über die Debatte der Begrifflichkeiten für Menschen mit transsexuellem Hintergrund.
- Zusätzlich kann ich die Videoreihe In the closet von Buzzfeed empfehlen, die kostenlos auf YouTube verfügbar ist. Allgemein lassen sich auf YouTube viele Channel, die Aufklärung betreiben, finden.
- Das LGBT Video Game Archive stellt eine Datenbank für sämtliche queeren Charaktere in Videospielen dar.
- Die Websiten Critical Distance und Mammon Machine: Zeal sammeln und produzieren Artikel, Videos, Kunst, und Comics – häufig mit queeren Themen im Fokus. Zu erwähnen sei auch die Kritikerin Heather Alexandra.
- Der Webcomic ShootAround, kostenlos lesbar über LineWebToon, enthält fast ausschließlich queere Charaktere.
– Simon Robl –