raten mir viele Amerikaner, mit denen ich während meines Aufenthalts in San Diego spreche. Die mexikanische Grenze ist nicht allzu weit von der Stadt entfernt und die Mexikaner scheinen hier keinen besonders guten Ruf zu haben. Ich bin aus beruflichen Gründen hier, das Wochenende steht mir zur freien Verfügung. Nachdem ich mir am Samstag bereits die Innenstadt angeschaut habe, will ich sonntags das Umland etwas genauer erkunden. Direkt hinter der Stadt beginnt ein großes Wüstengebiet. In diese Richtung will ich einen ersten Abstecher machen. Zudem habe ich noch zu überprüfen, ob es hier, wie in den Medien berichtet worden war, auch wirklich gebrannt hatte. Mit meinem Mietwagen verlasse ich die Stadt in Richtung Osten und tatsächlich, nach einigen Meilen sehe ich die ersten verbrannten Berghänge. Da es hier aber sehr selten regnet –das letzte Mal vor zwei Jahren-, sehen die Berghänge an denen es nicht gebrannt hat auch nicht viel besser aus.


Wie dem auch sei, nach ca. 20 Minuten ist die Straße dann wegen Feuerschäden gesperrt. Kurz vor der Absperrung mündet jedoch noch ein kleinerer Weg in die Hauptverkehrsstraße. Auf dem will ich noch ein Stück weiter fahren. Die Gegend ist hier sehr öde, trotzdem möchte ich gerne ein Foto machen. Also parke ich das Auto bei der nächsten Gelegenheit am Fahrbahnrand und steige aus. Den Schlüssel lasse ich dabei im Zündschloss stecken und auch das Radio schalte ich beim Aussteigen nicht extra aus.
Draußen fällt mir auf, dass ich die Kamera nicht in meiner Gürteltasche habe, ich hatte sie vorher auf den Beifahrersitz gelegt. Als ich die Autotür wieder öffnen will, stelle ich mit Entsetzen fest, dass diese abgeschlossen ist. Minutenlang starre ich bestürzt durch die geschlossene Fensterscheibe auf den herab gedrückten Türknopf -er bleibt unten. Nach Fassung ringend halte ich mich am Auto fest, ich fühle mich nicht besonders gut. Ich brauche einige Zeit bis ich mich mit der Situation einigermaßen abgefunden habe, dann beschließe ich zur Autovermietung am Flughafen zurück zu trampen. Die Amerikaner sind ja erfahrungsgemäß schon fast penetrant hilfsbereit, der nächste Autofahrer wird mir also sicherlich gleich helfen.

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Ich versuche eines der wenigen vorbeifahrenden Autos anzuhalten. Die Fahrer weichen geschickt aus und fahren weiter. Wieso bleiben in einer amerikanischen Großstadt mindestens 10 Passanten stehen und bieten mir ihre Hilfe an, wenn ich nur mal einen verstohlen Blick auf meine Straßenkarte werfe? Hier, in einer offensichtlichen Notlage, lässt man mich einfach stehen! Irgendwann hält dann doch mal ein freundlicher Amerikaner. Er fährt jedoch nicht nach San Diego, empfiehlt mir aber die Grenzpolizei anzuhalten. Die würde hier regelmäßig vorbeikommen und könne über Funk einen Schlüsseldienst informieren. Dieser Vorschlag erscheint mir plausibel. Genau genommen war meine Idee, zum Flughafen zu trampen, ja schon fast dämlich. Für die Strecke zum Flughafen und zurück bräuchte ich fast drei Stunden. In dieser Zeit würde das Auto an einer einsamen Landstraße stehen, nahe der mexikanischen Grenze, mit steckendem Schlüssel und einem Fotoapparat auf dem Beifahrersitz. Ich habe schon von weit weniger fahrlässigen Fällen gehört, bei denen eine Diebstahlversicherung nicht bezahlt hat.

Kurz darauf sehe ich dann auch schon ein Fahrzeug der Grenzpolizei näher kommen. Ich winke dem Beamten neben meinem Auto stehend zu, er winkt freundlich zurück und fährt weiter. Etwas irritiert schaue ich dem Fahrzeug noch nach, bis es hinter den Bergen verschwindet. Vielleicht war meine Gestik ja nicht eindeutig genug? Ich werde also das nächste Polizeifahrzeug abwarten und mich dann davor auf die Straße werfen. Eine Stunde des Wartens gibt mir Gelegenheit über den Begriff ‚regelmäßig‘ nachzudenken. Täglich ist schließlich auch regelmäßig.

Langsam erscheint mir Plan B als die wohl beste Lösung: Scheibe einschlagen und zurück zur Autovermietung fahren. Natürlich müsste ich dann für den Schaden und einen weiteren Mietwagen während der Reparaturzeit bezahlen, aber immer noch besser als für einen gestohlenen Wagen. Vorher unternehme ich aber noch einen letzten Versuch, vorbeifahrende PKWs anzuhalten. Nach einigen Fehlschlägen hält dann schließlich wieder ein Auto, die Insassen sind zwei junge Mexikaner. Ausgerechnet Mexikaner, man hat mich doch gewarnt! Ich habe keine Vorurteile, aber für die bin ich doch ein gefundenes Fressen! Vermutlich werden sie mich hier vor meinem abgeschlossenen Fahrzeug ausrauben. Der Fahrer spricht gutes Englisch und versucht, nachdem ich ihm meine Situation erklärt habe, den amerikanischen Automobilclub AAA (gesprochen triple-A) mit seinem Handy zu erreichen. In dieser abgelegenen Gegend hat er jedoch keinen Empfang, deshalb bietet er mir an, mit ihnen zum nächsten Ort zu fahren.

Gesagt, getan und bereits nach etwa zwei Meilen kommen wir an ein kleines Rasthaus, von hier aus erreicht mein Helfer dann offensichtlich den Automobilclub. Nach dem Gespräch teilt er mir mit, dass ich hier vor dem Gebäude auf Hilfe warten sollte. Die 50 Dollar für den Einsatz müsste ich jedoch ihm bezahlen, da dies über seine Versicherung beim AAA abgerechnet wird. Ich habe keine Vorurteile, aber vermutlich hat er gerade seinem mexikanischen Schwager mitgeteilt, wo genau mein Auto steht. Ich bin jedoch nicht in der Situation um Zweifel zu äußern, also gebe ich ihm das Geld und bleibe vor dem Lokal stehen. Zu meiner Überraschung will er dann aber doch mit seinem Freund und mir auf das Eintreffen des Pannenfahrzeugs warten. Wir führen noch ein nettes Gespräch und tatsächlich, nach einer halben Stunde trifft ein Abschleppfahrzeug ein.

Auf der Fahrt zurück zu meinem Auto fliegt eine Biene durchs offene Seitenfenster und sticht mir ins Gesicht. Dieser Sonntag ist definitiv nicht mein Tag.
Der Fahrer des Pannenfahrzeugs hat mein Auto in weniger als 30 Sekunden geöffnet, Aufschließen ist nicht viel schneller. Ich bedanke mich noch bei meinen mexikanischen Freunden, ich hatte nie an ihren guten Absichten gezweifelt. Es ist erst früher Nachmittag, als ich zurück in Richtung Stadt fahre. Nach weiteren Unternehmungen steht mir heute aber nicht mehr der Sinn.

– Michael Schneider25_SD_Bienen