Wie es mir geht? Gut.

Ich spreche das Wort aus, ohne nachzudenken. Ohne auf das zu hören, was in meinem Inneren vor sich geht. Es geht mir immer gut – zumindest ist es das, was ich meinen Gegenüber glauben lassen möchte. Sobald ich aus der Tür trete, streiche ich das Haar zurück. Verberge mein Gesicht unter der Kapuze, um meine Maske nicht aufsetzen zu müssen und mische mich unter die Menschen. Stimmengewirr umhüllt mich, Mädchen mit rosafarbenen Lippen und Strähnen im Haar laufen an mir vorbei. Unbewusst streiche ich durch mein eigenes Haar, ertaste die Überreste der Strähne, die ich vor einigen Wochen darin eingeflochten habe, um zu sein wie sie. Ich habe sie abgeschnitten, wollte nicht, dass sie Teil meiner Maske ist.
Sobald ich das Zentrum erreicht habe, presse ich meine Tasche an den Körper. Meinen Blick habe ich auf den Boden gerichtet, ich bahne mir meinen Weg, ohne die anderen anzusehen. Es geht gut, besser, als ich erwartet habe. Zumindest solange, bis mein Name gerufen wird.

Ich drehe mich um, sehe eine entfernte Bekannte aus der Menge auf mich zukommen. Mein Herzschlag beschleunigt sich, Stück für Stück bildet sich meine Maske. Ich schlage die Kapuze zurück, zeige mein Gesicht. Ich richte mich auf, ziehe die Mundwinkel zu einem Lächeln nach oben und umarme sie, sobald sie bei mir angekommen ist. Sie riecht nach Zimt, ein Geruch, den ich nicht ausstehen kann. „Du riechst gut. Neues Shampoo?“, frage ich und sie lächelt, bedankt sich artig. „Wir haben uns so lange nicht mehr gesehen, wir sollten uns mal wieder treffen.“ 

Ich möchte sagen „Ich habe dich nicht vermisst, wir waren noch nie gute Freundinnen, haben uns nie gut verstanden. Wieso willst du dich mit mir treffen?“, stattdessen antworte ich: „Sehr gerne. Wir können auch noch die anderen fragen, sie wären bestimmt begeistert.“

Die anderen. Wer damit gemeint ist, ist nicht einmal für mich klar. Vielleicht die alte Clique, die Freunde, mit denen ich mich vor vielen Jahren einmal verstanden habe. Jetzt haben wir uns auseinandergelebt und ich möchte nichts mehr mit ihnen zu tun haben. „Wie wäre es nächsten Montag? Da bin ich sowieso in der Stadt.“
Das Lächeln ist auf meinem Gesicht festgefroren, ich nicke. „Gerne.“ 
Ich weiß jetzt schon, dass ich nicht erscheinen werde. Eine Ausrede suchen werde. Falls ich erscheine, werde ich hinter meiner Maske bleiben. Nichts sagen von meinen neuen Interessen, meinen neuen Freunden. Ich werde mich im Hintergrund halten und aufmerksam zuhören. Vermutlich nur, um festzustellen, wie unterschiedlich wir alle geworden sind.

„Du hast dich gar nicht verändert.“ Sie stößt ein Lachen aus und für einen Moment beginnt meine Maske zu bröckeln. Sie kann nicht erkennen, was sich dahinter befindet. Ich lasse es nicht zu. Aber ich bin nicht mehr diejenige, die ich vor ein paar Jahren war. Wenn sie das wüsste, würde sie sich nicht mehr mit mir abgeben. Damals hat sie auf Leute wie mich herabgeschaut. 
Wieso ich mich nicht von ihr lossage und ihr zeige, dass ich anders bin? Ich weiß es nicht.

„Du auch nicht.“ Dabei ist das Gegenteil der Fall – die Zähne sind noch weißer, das Haar länger. Es ist gefärbt, sie trägt viel zu viel unechten Schmuck. Eine teure Tasche an ihrer Schulter, drei Einkaufstüten in ihrer linken Hand. Eine unangenehme Stille entsteht. Ich schaue auf die Uhr, entschuldige mich. Murmele etwas von einem Termin und gehe weiter. Entkomme ihren Blicken und setze meine Maske ab, ziehe die Kapuze wieder auf. Laufe noch etwas schneller.
Und mir kommt ein Gedanke, ein Gedanke, der mich zum Nachdenken bringt. Denn vielleicht trage nicht nur ich eine Maske. Vielleicht trägt auch sie eine.

Sophia Suckel