Sie sitzt auf der Parkbank, die Kapuze zurückgeschlagen, den Rucksack auf dem Boden abgestellt. Um den roten Stoff herum befindet sich eine Pfütze vom letzten Regenschauer. Ihr Rücken ist gebeugt, der Kopf nach unten gerichtet. Mit den Augen fixiert sie das Buch, das sie in einer Hand hält. Der Daumen drückt die Seiten auf, die übrigen Finger halten den Buchrücken fest. Ihre Fingerknöchel treten weißlich hervor, sie nimmt jetzt die andere Hand dazu, um eine Seite umzublättern. Langsam, fast zärtlich. Als sie von einem Windstoß erfasst wird, schlägt sie das Buch schnell zu, nur der Daumen verbleibt auf seiner Position. Ein kurzer Blick nach oben, in den Himmel, ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen, die Lippen sind zu einem schmalen Strich zusammengepresst. Der Wind verschwindet und ihre Schultern senken sich wieder.
Sie öffnet das Buch erneut, hält es dieses Mal mit beiden Händen. Die rot lackierten Fingernägel heben sich von dem dunklen Bucheinband ab, an ihrem rechten Zeigefinger befindet sich ein goldener Knöchelring.
Sie verlagert ihr Gewicht, schlägt das rechte Bein über das linke und lehnt sich hinten an der Parkbank an. Ihre Augen huschen über die Zeilen, sie blättert eine Seite weiter. Streicht sich nur wenige Sekunden später mit der gleichen Hand durch das Haar, um eine Strähne aus ihrem Gesicht zu wischen. Das Buch wird nur noch von ihrer linken Hand gehalten, da sind sie wieder, die weißen Fingerknöchel.
Sie beißt sich auf die Lippe, hat den Mund leicht geöffnet. Der Ausdruck auf ihrem Gesicht ist nicht zu deuten, ihre Züge scheinen aus Marmor zu sein, versteinert. Eine weitere Seite, die umgeblättert wird. Ein Lächeln, das die Spannung aus ihrem Gesicht vertreibt. Kleine Falten bilden sich um ihre Mundwinkel und sie blättert zurück, dann wieder zur vorherigen Stelle.
Sie atmet tief durch, krempelt dann die Bluse an ihrem linken Arm nach oben. Wirft einen kurzer Blick auf die Uhr.
Jetzt geht alles ganz schnell. Das Buch wird zugeschlagen, aber nicht, bevor sie das schwarze Lesebändchen in die Seite gelegt hat. Mit einer schnellen Bewegung nimmt sie die Tasche auf den Schoß, bemerkt, dass die Unterseite nass ist und stößt einen Fluch aus. Verstaut das Buch darin, schließt den Reißverschluss. Steht auf, schultert den Rucksack. Auf ihrem Rock ist ein dunkler Fleck zu sehen, das Wasser vom Boden. Sie überlegt es sich anders, schlüpft aus der dunklen Jacke, bindet sie sich um die Hüfte und beginnt zu rennen.
An mir vorbei, ohne mich wahrzunehmen. Der Blick verträumt, der Kopf noch gefangen in der Geschichte.
Sophia Suckel
Lust auf mehr? http://sophiasuckel.blogspot.de/